Anlässlich PR-Termin in Ulm nach versäumten Sofortprogramm:

Unterstützer des wissenschaftlichen Diensts des Bundestags nehmen Bundesverkehrtminister Wissing aufs Korn

Wer am heutigen Dienstagmorgen (18.7.2023) auf der Ulmer Adenauerbrücke unterwegs war, erlebte eine Überraschung: Was auf den ersten Blick aussieht wie eine ganz normale Schilderbrücke, entpuppt sich auf den zweiten Blick als raffinierte Kritik an Bundesverkehrtminister Wissing: Unterstützer*innen des wissenschaftlichen Diensts des Bundestags haben die Schilderbrücke besetzt und die Orts- und Richtungsinformationen für Autofahrer*innen mit Forderungen wie "Wissing absägen, Bäume stehen lassen", "Straßenausbau stoppen, Schienennetz ausbauen" oder "Spielstraße statt Schnellstraße" überklebt. Die Aktion ist aktuell im Gange und, weil die Aktion nicht angemeldet war, ist ein Einsatz des Spezialeinsatzkommandos wahrscheinlich.

PR-Termin statt Klimaschutz-Sofortprogramm

Bis zum gestrigen Montag (17.7.) hätte Wissing nach dem aktuell gültigen Klimaschutzgesetz in Form eines Sofortprogramms erklären müssen, wie er die immer weiter steigenden CO2-Emissionen im Verkehrssektor zu reduzieren gedenkt. Weil er im Gegensatz dazu im vergangenen Jahr die CO2-Emissionen angeheizt hatte, stellte der wissenschaftliche Dienst des Bundestags Rechtsbruch fest. Die an der heutigen Kunstaktion beteiligten Unterstützer*innen des wissenschaftlichen Diensts kritisieren, dass Wissing nicht mit einem angemessenen Sofortprogramm reagierte, sondern im Gegenteil mit umstrittenen Ausbauüberlegungen von Autobahnen und Bundesstraßen. Dazu gehört auch die Adenauerbrücke. Der geplante Ausbau von vier auf acht Spuren ist im Lichte dessen, dass sich langfristig Verkehr vom Auto auf den ÖPNV verlagern wird, in der Bevölkerung umstritten. Darüber hinaus bedroht der Ausbau wertvolle Bäume in den Ehinger Anlagen.

Auch Proteste von Eltern

Dass Wissing nicht Sofortmaßnahmen zur CO2-Reduktion vorlegt, sondern stattdessen einen PR-Termin in Ulm wahrnimmt, stößt auch einem Elternverband in Ulm sauer auf. Seinem Betonwahn können sie nichts abgewinnen, und verweisen auf Prof. Dr.-Ing. Tobias Kuhnimhof vom Institut für Verkehrsforschung. "Wer Straßen sät, wird Verkehr ernten", hatte dieser gegenüber der WirtschaftsWoche erklärt. Den Weg zum Stadthaus möchten sie daher heute Abend mit Bobby Cars pflastern, als Spiegel von Wissings "infantilen und frechen" einseitiger Autopolitik. Dabei gibt es genügend ausgearbeitete Pläne von Mobilitätsexpert*innen, die Wissing nur zu übernehmen bräuchte. Unter Einbeziehung der Zivilgesellschaft legte etwa der Verkehrsclub Deutschland einen solchen Plan vor. Damit könnten nicht nur die CO2-Emissionen reduziert und jährlich 2,1 Milliarden Liter Rohölimporte von Putin eingespart werden. Der Plan beschreibt auch, wie der öffentliche Raum gerechter aufgeteilt werden könnte (aktuell kostet ein Anliegerstellplatz in vielen Städten mehr als zehn Mal so viel wie ein WG-Zimmer derselben Größe, Fußgängerzonen sind gemütlich und gut für den Einzelhandel, aber klein) und wie langfristig die "Vision Zero" erreicht werden könnte – das Ziel, dass Verkehrstote so selten werden, dass wenn es doch zu einem tödlichen Verkehrsunfall kommt, dieser über Wochen in ZDF-Brennpunkten und anderen Sondersendungen aufgearbeitet wird.

Großes persönliches Risiko

Die Aktionsbeteiligten gehen mit ihrem Protest ein hohes persönliches Risiko ein, denn bei früheren gleich gelagerten Aktionen beantragte die Staatsanwaltschaft im Nachgang sogar die Verhandlung vor einem Schöffengericht, um eine Freiheitsstrafe von mehr als zwei Jahren fordern zu können. Indes ist die Strafbarkeit der Kunstaktion nicht klar, eine andere Staatsanwaltschaft stellte Ermittlungen in weiteren solchen Fällen ohne Anklageerhebung ein.